Ein weiterer Beweis: Das berühmte Buch „Das Kapital“ von Karl Marx verkauft sich so gut wie seit Jahren nicht mehr; der Hauptverlag hat 1500 bereits 2008 Exemplare verkauft; Früher wurden ein Jahr lang höchstens 500 Exemplare verkauft. Immer mehr Menschen scheinen nach Erklärungen und sogar Lösungen zu suchen. (Aber der Verlag warnte davor, dass das Buch für Laien „schwierig“ sein könnte.)
Ein dritter Beweis: Mitarbeiter des Opel-Automobilwerks in der ostdeutschen Stadt
Ein noch merkwürdigerer Beweis: Eine kürzlich von einem großen Magazin durchgeführte Umfrage unter Ostdeutschen ergab, dass 52 Prozent jegliches Vertrauen in die freie Marktwirtschaft verloren hatten, während 43 Prozent eine Rückkehr zu einer sozialistischen Wirtschaft befürworten würden. Die meisten der für den Begleitartikel Befragten stimmten zu. Rückblick auf die DDR-Zeit eines 46-jährigen Arbeiters
Solche Gefühle kommen in den Wahlurnen zum Ausdruck. Die junge Partei „Die Linke“, deren Ursprünge weitgehend auf die ehemalige Regierungspartei der DDR zurückgehen und deren Programm trotz vieler Veränderungen immer noch den Sozialismus fordert, belegte in vier von fünf ostdeutschen Bundesländern den zweiten Platz Sie ist die stärkste Partei in Ostberlin und führt derzeit Umfragen in ganz Ostdeutschland an. Seitdem er einer linken Partei beigetreten ist
Das alles ist besorgniserregend, ja geradezu alarmierend für die vier Parteien, die bislang die politische Macht in Deutschland regieren. Aber sie geben die Festung des Kapitalismus des freien Unternehmertums keineswegs auf, ob Krise hin oder her.
Fast jeden Abend erklärt der eine oder andere deutsche Fernsehsender den Zuschauern, wie schrecklich das Leben in der DDR früher war. Manchmal konkurrieren mehrere Kanäle um die Übernahme dieses Auftrags. Zwei ständige Themen sind natürlich die Schrecken der Stasi und die Schrecken der Berliner Mauer. Aber es gibt auch Vielfalt: Wie schlecht es in den Kindertagesstätten der DDR war, wie Sportler leiden mussten, wie Urlauber reglementiert wurden, wie korrupt die Großen waren, wie schlecht die Musik, wie stark die Bücher, Theaterstücke oder Filme zensiert wurden. Diese Aufklärung wird oft in Form von historischen Reportagen angeboten, manchmal werden wir mit abendfüllenden Dramen und Spielfilmen verwöhnt, von denen einige sehr gut gemacht sind. Ähnliche Botschaften werden in Form geschickter Widerhaken selbst in die kürzesten, scheinbar irrelevanten Nachrichten eingefügt.
Einige der Fakten sind zweifellos richtig. Viele der privaten Eindrücke sind sicherlich echt. Bürokratie, Dogmatismus, Unterdrückung und Ungerechtigkeit gab es in den vierzig Jahren der Deutschen Demokratischen Partei weit mehr als genug
Obwohl sie manchmal versuchen, das Publikum zu fesseln, indem sie unvoreingenommen klingen und oft leicht sarkastisch zugeben, dass es im Leben in der DDR doch ein paar akzeptable Elemente gegeben habe, verwandelt sich die überwältigende Botschaft selbst dann bald wieder in das übliche äußerst düstere Bild voller all dieser Dinge Klischees und ignorierte die vielen Aspekte des Lebens, die ganz normal waren und sogar ganz angenehm sein konnten. Aber es ist eine solche Mischung aus guten und schlechten Faktoren, die ich in den 36 Jahren, die ich in der DDR gelebt habe, beobachtet habe, als ich am Alltag als Lehrling, Arbeiter, Student und Journalist teilnahm und fast jeden Winkel der DDR besuchte Land und sprach öffentlich und sehr privat mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Aber die Medien bevorzugen es, zu verprügeln und zu verprügeln, der Rest wird kaum angedeutet und die Medien bieten praktisch keine Gelegenheit, sich zu widersetzen.
Es mag rätselhaft erscheinen, warum die Sendungen, die uns erzählen, wie hart wir es in diesen Jahren des Elends hatten, nicht an Zahl und Heftigkeit abnehmen, obwohl die DDR seit 1990 tot ist. Warum bestehen sie so lange darauf, ein totes Pferd zu treten?
Die jüngste Meinungsumfrage macht die Antwort offensichtlicher denn je. Zwar brachte der Untergang der DDR im Jahr 1990, der offiziell als deutsche Wiedervereinigung bezeichnet wurde, von vielen jedoch als „Annexion“ bezeichnet wurde, eine breite Palette schwer erhältlicher oder unbekannter Konsumgüter mit sich, von Bananen und Kiwis bis hin zu BMWs und Seereisen. Weltreisen wurden möglich, der Einzelhandel expandierte, Häuser wurden renoviert, Cafés vervielfachten sich, der Straßenverkehr und die Werbung, von Neonlichtern bis hin zu Fernsehwerbespots, explodierten geradezu. Ein gewisser Prozentsatz der Menschen lebte und lebt sicherlich besser als zuvor, vielleicht etwa ein Drittel.
Doch sehr viele zahlten einen hohen Preis, der durch die neue Finanz- und Wirtschaftskrise nun noch verschärft wird. Millionen von Arbeitsplätzen gingen nach 1990 verloren, als ostdeutsche Fabriken aus dem Verkehr gezogen oder von westlichen Konkurrenten für einen Spottpreis aufgekauft und bald geschlossen wurden. Die Arbeitslosigkeit blieb stabil auf dem doppelten westlichen Niveau (sie liegt jetzt bei etwa 14 Prozent), Löhne und Renten blieben ebenso konstant unter dem westdeutschen Niveau, oft 30 Prozent darunter.
Ganz allmählich kam es in einigen Gebieten zu einem leichten Aufschwung – zum Beispiel in einigen Urlaubsgebieten an der Ostsee, in einigen Auto- und Elektronikfabriken. Aber auch andere Faktoren verschlimmerten sich. Die medizinische Versorgung wurde immer teurer. Die Gebühren für Kinderbetreuung und Bildung sind gestiegen oder drohen zu steigen. Mit Ausnahme der Reichen stiegen die Steuern. Die immer geringer werdenden Renten liegen nun bei 67 Jahren (in der DDR erhielten Männer eine Rente von 65 Jahren, Frauen von 60 Jahren). Das Schlimmste ist, dass es kaum oder gar keine Sicherheit gibt. Sogar diejenigen, die für die wenigen berühmten und etablierten Unternehmen arbeiteten, die eröffnet wurden
Aber all das wurde als „Sozialismus“ bezeichnet. Der bloße Gedanke an solche Erinnerungen macht den mächtigen Kräften, die die drei großen Parteien kontrollieren und großen Einfluss auf die vierte Partei, die einst progressiven Grünen, haben, Angst. Vor einigen Jahren forderte ein sozialdemokratischer Minister die „De-Legitimierung der DDR“. Jeder Trick, jedes Propagandamittel wird in den Kampf geworfen. Ein großes Schlachtfeld ist das Schulsystem, wo es im Gegensatz zum Fernsehen einen gewissen Dialog gibt. Führende Politiker beklagen sich ständig darüber, dass ostdeutsche Schüler „im Unklaren über die jüngere deutsche Geschichte“ seien und dass sie sich oft von dem beeinflussen lassen, was ihre Eltern und Großeltern ihnen über das Leben in der DDR erzählen, anstatt auf die Anweisungen der Lehrer oder die neuen Schulbücher zu hören alte Zeiten, nicht nur die schlechten, sondern auch die guten. Die Politiker fordern geradezu hysterisch immer energischere Methoden und immer einseitigere Lehrbücher, jetzt für die kommenden Jahrestage der Gründung der beiden deutschen Staaten (1949) und des „Mauerfalls“ (1989). Wer wird diesen Schlepper gewinnen? -des Krieges? Oder besser gesagt: Wer wird mehr Boden gutmachen? Die nächsten Wahlen auf Landes- und Bundesebene – und vielleicht ein paar Protestdemonstrationen oder Streiks – könnten einige Antworten liefern.
20. Oktober 2008
ZNetwork finanziert sich ausschließlich durch die Großzügigkeit seiner Leser.
Spenden