Bedrohlich auf der Abstiegsseite liegen die Regierungsparteien der Großen Koalition – GroKo. Als am 14. Oktober die Christlich-Soziale Union (CSU) in Bayern, die einzige Ein-Länder-Tochtergesellschaft der Christlich Demokratischen Union (CDU) von Angela Merkel, das schlechteste Ergebnis erzielte, das man sich bei einer Landtagswahl vorstellen kann, löste der Schlag Schockwellen aus das ganze Land. Sie war immer noch die stärkste Partei in diesem größten deutschen Bundesland, muss sich nun aber ihre Kabinettssitze mit einer ebenso konservativen lokalen Abspaltungspartei teilen. Alle Bemühungen ihres schwindenden Anführers Horst Seehofer, der durch Angriffe und Beleidigungen seiner Verbündeten Angela Merkel von rechts Punkte zu gewinnen versuchte, scheiterten kläglich. Ebenso seine Versuche – er ist immer noch Bundesinnenminister –, den Chef des Verfassungsschutzes (wie des FBI) zu retten, der allzu offen profaschistisch geworden war. Es sieht so aus, als würde der amüsiert lächelnde Seehofer seinem Beauftragten bald in den unfreiwilligen Ruhestand folgen und der rechte bayerische lautstarke Stolz, der gewissermaßen an das alte Texas erinnert, wurde zu einem eher heiseren Krächzen reduziert.
Zwei Wochen später kam der nächste Schlag. Das wohlhabende Bundesland Hessen mit seinem Zentrum in Frankfurt am Main war jahrzehntelang eine Hochburg der Sozialdemokraten (SPD). Dann wurden sie von den Christdemokraten verdrängt, oft unter Einsatz rassistischer Klischeepropaganda. Die Landtagswahl am 28. Oktober schockierte beide. Die SPD wurde auf ein erbärmliches Relikt von unter 20 % reduziert, während die CDU das schlechteste Ergebnis seit 50 Jahren erzielte.
Diese Schocks auf Landesebene waren auf Bundesebene nicht weniger erschütternd. Merkel, die ihre persönliche Aura wie einen verblassenden Regenbogen schwinden sah, tat einen Schritt, der noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar war. Sie war immer sowohl Kanzlerin als auch CDU-Chefin, eine unverzichtbare Bindung, die sie stets beanspruchte. Doch auf dem Parteitag im nächsten Monat wird sie als Parteivorsitzende zurücktreten. Sie kann bis 2021 „Königinmutter“ der nationalen Regierung bleiben, wenn diese an der Macht bleibt, aber die Chancen gegen sie und sie sinken. Mit einem aktuellen Anteil von 27 % ist die CDU-CSU immer noch die stärkste Partei, aber nicht mit großem Abstand.
Drei Hauptrivalen drängen darauf, ihr als Parteichefin nachzufolgen – und vielleicht sogar noch mehr? Jens Spahn, 38, derzeit Gesundheitsminister, war schon immer ein großer rechter Gegner Merkels. Obwohl er trotz all seiner Bemühungen nie beliebt war, wurde er in den Umfragen von der Öffentlichkeit abgelehnt.
Annegret Kamp-Karrenbauer, 56, aus dem Saarland, ist Generalsekretärin der Partei und steht in vielen Fragen Merkels zentrumsnaher Position am nächsten. (Ihr Name macht sie bei Schlagzeilenautoren nicht besonders beliebt – der Schlussteil wurde mit ihrem Ehemann hinzugefügt – es ist sein Name. Sie nennen sie oft AKK.
Sie liegt Kopf an Kopf mit Friedrich Merz (62). Im Jahr 2002 drängte Merkel ihn von seinen Führungshoffnungen ab und er wechselte von der Politik in die Wirtschaft, wo es ihm weitaus besser ging. Er ist Vorstandsvorsitzender der deutschen Sektion von BlackRock, Inc., dem globalen Investment-Management-Unternehmen und dem weltweit größten Vermögensverwalter mit einem Vermögen von 6.29 Billionen US-Dollar in 30 Ländern. Sie wird als die größte Schattenbank der Welt bezeichnet. Der deutschen Sektion wird vorgeworfen, Steuerbetrug in Millionen- oder Milliardenhöhe vertuscht zu haben. Aber Mertz wird von mächtigen Männern in der Finanzwelt, der Politik und den Medien unterstützt. Auch Kritik: „Wenn er gewinnt, muss es keine weiteren Lobbyisten geben – er ist Mr. Lobbyist in Person.“ Er ist auch im Vorstand von HSBC, Europas größter Bank, die mehr Skandale erlebt hat, als sie zählen kann – in Mexiko, Südafrika, Südasien, den USA. Für einen Drogenskandal im Jahr 1.9 zahlte das Unternehmen eine Geldstrafe von 2012 Milliarden US-Dollar (etwa fünf Wochen seines Jahresgewinns), doch Obamas Generalstaatsanwalt rettete die Täter aus den Gefängniszellen.
Friedrich Merz als Ritter in glänzender Rüstung, der Deutschlands schwächelnde Wirtschaft rettet und gleichzeitig seine Streitkräfte stärkt; Was für ein schrecklicher Albtraum!
Auf Landes- und Bundesebene sinkt der andere Partner der Großen Koalition, die SPD, so schnell, dass sie droht, ganz von meiner Metapher „Wippe“ abzufallen. Nachdem er bei der letztjährigen Wahl knapp 20 % erreicht hatte, liegt er nun bei 14 %. Und obwohl die Mitglieder der ältesten Partei Deutschlands – die noch nicht ausgetreten sind – verzweifelt einen Wechsel in der Politik, wenn nicht sogar in der Führung fordern, befiehlt ihnen Letztere, angeführt von Andrea Nahles, 48, hartnäckig, wie der Kapitän in Pete Seegers Lied , „weitermachen!“ Doch der von ihnen geforderte Austritt aus der Koalition könnte Neuwahlen bedeuten – und neue Gefahren.
Wenn die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD so schnell verlieren, wer hat dann den Aufschwung? Die größere Bedrohung ist die Alternative für Deutschland (AfD), die nach ihren Zuwächsen in Bayern und Hessen nun in allen Landesparlamenten vertreten ist. Sie waren nicht so groß, wie die AfD hoffte und die meisten Menschen befürchteten – aber es gab keine großen Hurra! In landesweiten Umfragen liegt sie vor den Sozialdemokraten. Während einige ihrer Anführer versuchen, zivilisiert zu klingen und in den allzu großzügigen Medien Punkte zu gewinnen, verraten andere immer wieder ihren faschistischen Charakter; Sie schimpfen gegen Muslime und Einwanderer, fördern aber große Unternehmensziele wie niedrigere Erbschaftssteuern oder mehr Waffen und Soldaten. Wenn Leute wie Merz die CDU übernehmen und die Wirtschaft ins Stocken gerät, könnten sie in einer erschreckenden Parodie auf die Ereignisse von 1931–33 eine Koalition mit der AfD bilden.
Doch die Hauptgewinner der Wählerverschiebung in Bayern, Hessen oder bundesweit waren erstaunlicherweise die Grünen. Leser in den USA oder anderswo sollten sie nicht als eine fast radikale, weit links stehende Gruppe sehen. Sie fingen so an, aber das ist Jahrzehnte her, bevor sieben Jahre in der Regierung mit der SPD sie vollständig gezähmt hatten, indem beide einige der schlimmsten arbeiterfeindlichen Gesetze seit Jahren verabschiedeten und Deutschland in den ersten Krieg nach der Wiedervereinigung führten – gegen Serbien. Es ist seit 2005 nicht mehr in der Regierung, hat sich aber in den letzten fünfzehn Jahren kaum verändert.
Die Grünen legen vor allem Wert auf die Umwelt, haben aber entschieden, dass dies keinen Konflikt mit der Großwirtschaft erfordert, sondern lediglich davon überzeugt sein muss, dass Ökologie und Profit vereinbar sind. Man muss nicht zu den Koch-Brüdern blicken, um dies in Frage zu stellen; Volkswagen-Daimler-BMW-Emissionsbetrug und die Fusion von Monsanto und Bayer, zwei der weltweit schlimmsten Schmetterlings-, Salamander- und Singvogelmörder (und beide Unternehmen gehörten einst zu den schlimmsten Menschenmördern der Welt – von Auschwitz bis Da Nang in Vietnam) – dürfte einige Zweifel aufkommen lassen.
Es stimmt, die Grünen sind für Frauen und LGTS-Brights, normalerweise gut in Einwanderungsfragen – zumindest bis sie Regierungen anführen, wie in ihrer glücklichen Verbindung mit Daimler in Stuttgart und mit dem forstabbauenden Energieriesen RWE in der Nähe von Aachen. Sie haben sich auf Landesebene wie in Hessen durchaus bereit gezeigt, sich der rechten CDU anzuschließen, und können die Bezeichnung „Linke“ nicht mehr für sich beanspruchen.
Der Grund für ihren plötzlichen Anstieg der Popularität liegt darin, dass sich Millionen von Menschen nicht von der gegenwärtigen Regierung repräsentiert, sondern von Merkel und der SPD verraten fühlen. Der rechte Protest führt dann zur AfD. Andere wenden sich im Guten wie im Schlechten aus Protest an die Grünen.
Eine echte Alternative sollte eigentlich die LINKE, die Linke, sein. Die beiden Landtagswahlen brachten einen Wählerzuwachs, allerdings nur einen geringen Zuwachs, vor allem in Bayern, wo erneut die 5 %-Mindestquote für die Mitgliedschaft im Landtag verfehlt wurde.
Ein Problem in Westdeutschland beruht auf jahrzehntealten Vorurteilen gegenüber allen Parteien, die mit der ostdeutschen DDR in Verbindung stehen, einer Form des Antikommunismus, die fast jeden Abend von den Medien erneuert wird. Im Osten Deutschlands gibt es zwei besondere Hindernisse. Millionen hatten große Hoffnungen, dass die Vereinigung die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ bringen würde. Doch für viele sind die Blüten Disteln und Giftefeu. Wenn es Jobs gibt, dann zu oft unsichere, schlecht bezahlte Teilzeit- und Schnellarbeitsplätze sowie Sorgen um die Rentenhöhe und die Zukunft ihrer Kinder. Manche werden zu dem Glauben verleitet, dass angebliche „Vorteile“ für Flüchtlinge und Einwanderer Verluste für sie selbst und ihre monolithische weiße deutsche Kultur bedeuten. Allzu wenige sehen die LINKE nicht als Kämpferin für ihre Rechte und Bedürfnisse, sondern eher als einen weiteren Teil des „Establishments“, der oft in Landesregierungen vertreten ist oder ihnen beitreten möchte.
Die richtige Antwort darauf scheint ein harter Kampf der LINKEN gegen die Machthaber, die Gentrifizierer, Ausbeuter, riesigen Steuerbetrüger und – tatsächlich – ihr gesamtes System zu sein.
Ein möglicher Schritt in diese Richtung wurde von der Spitzenführerin der LINKEN, Sahra Wagenknecht, mit der kollektiven Bewegung „Aufstehen“ eingeleitet, die darauf abzielt, wütende, unzufriedene Menschen aus allen Parteien oder keiner Partei zu gewinnen. Doch anstatt die LINKE zu ergänzen, steht sie derzeit vor einer teilweise personellen Spaltung, die die LINKE aufzulösen droht und die nationale Bühne den Rechten überlässt. Auch ich war besorgt und skeptisch.
Letzten Freitag hielt „Sahra“ am Brandenburger Tor eine großartige Rede vor tausenden Anhängern. Es war ein erstaunlich wichtiges Datum in der deutschen Geschichte. Vor hundert Jahren schlossen sich deutsche Seeleute, dann Werftarbeiter und dann Soldaten an und starteten trotz aller Widrigkeiten und Waffen die deutsche Revolution, die die Herrschaft des Kaisers und den Ersten Weltkrieg beendete, die aber bald verraten und geschlagen wurde. In den folgenden Jahren bauten dieselben Kräfte, die sie zurückgeschlagen hatten, die riesigen Industrie- und Finanzkonzerne, das 1 %, Hitler und seine Nazis auf. Vor 80 Jahren, am 9. November 1938, begannen sie mit der gewaltsamen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung; Ein paar Jahre später töteten sie in der Sowjetunion bis zu 27 Millionen Menschen – plus eine tragische Zahl von Roma, Polen, Jugoslawen, Italienern … und Amerikanern.
Am selben Tag vor 29 Jahren jubelten die Ostdeutschen, als sie durch die Berliner Mauer strömten und sich über die Wiedervereinigung freuten. Ihr Jubel war völlig verständlich. Nur eine Minderheit befürchtete, dass neue Freiheiten, weitaus mehr Waren und Reisemöglichkeiten auch die Barrieren für die Rückkehr derselben Geschäftsinteressen öffnen würden, die sie nach 1945 verworfen hatte. Nun zurück, mit größerer Kraft als je zuvor, begannen sie erneut und beschnitten die Rechte der arbeitenden Bevölkerung Ausbreitung nach Osten, Aufbau von Armeen, Ausbildung von Fallschirmspringern und Drohnenexperten. Und obwohl sie ihre Grobheit wie in früheren Jahren leicht skeptisch betrachteten, erlaubten sie mörderischen Banden steifarmiger, Hitler-tätowierter Schläger, den Weg zu neuen Tötungsrunden zu ebnen. Dieses Wippespiel kann ein sehr schreckliches Finale finden.
Victor Grossman (geboren 1928 in New York City) ist ein amerikanischer Journalist, der 1952 unter dem Druck der McCarthy-Ära die US-Armee verließ, indem er über die Donau in die sowjetische Zone Österreichs schwamm. Seitdem lebt er in Ostberlin. Zu seinen Büchern gehören eine Geschichte des spanischen Bürgerkriegs in deutscher Sprache, Madrid du Wunderbare, und seine englischsprachige Autobiographie, Den Fluss überqueren (University of Massachusetts Press).
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